Die Nichtzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde

oder: Das vorwerfbare Fehlurteil

 

Wer glaubt, der Bundesgerichtshof (BGH) als letzte Instanz in Zivilsachen sei dazu da, dem Recht Geltung zu verschaffen, der irrt. Die obersten Zivilrichter in Karlsruhe stehen weit über so banalen Dingen wie der Frage nach materieller Gerechtigkeit. Nein, die einzige Aufgabe des BGH besteht in der Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung.


Nach der neuen Zivilprozessordnung muss sich der Kläger die Revision zum BGH in der Regel mit einer „Nichtzulassungsbeschwerde" freikämpfen. Dazu hat er darzulegen, dass eine höchstrichterliche Entscheidung in dieser Sache zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung beitragen werde, weil es um eine grundsätzliche Rechtsfrage geht. Grundsätzlich ist eine Rechtsfrage aber nur so lange, bis der BGH einmal darüber entschieden hat. Danach ist die Frage geklärt und ab diesem Zeitpunkt dringen weitere Fehlurteile der unteren Gerichte zu dieser Rechtsfrage nie mehr zur letzten Instanz vor.


Jedenfalls ist das die Folge der Rechtsprechung des BGH zur Nichtzulassungsbeschwerde. Der XI. Zivilsenat der BGH ging sogar noch weiter und ließ ein eindeutiges Fehlurteil eines Oberlandesgerichts (OLG) unangefochten, weil die OLG-Richter seine neueste Rechtsprechung - weil noch unveröffentlicht - „in nicht vorwerfbarer Weise" missachtet hatten (BGH vom 08.04.2003, XI ZR 193/02). In Zukunft aber, meinte der BGH, hielten sich die Vorderrichter an seine Rechtsprechung, daher bestehe keine Wiederholungsgefahr mehr und die Einheitlichkeit ist gesichert. Ergebnis: Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen.


Die Richter der unteren Instanzen müssen also „vorwerfbar" falsch entschieden haben, damit der BGH ihre Urteile aufhebt. Wurde zwar falsch entschieden, aber nicht „vorwerfbar", hat der Kläger eben Pech gehabt und muss mit seinem Fehlurteil leben. Sein Vorgänger, der zufällig mir derselben Rechtsfrage in Karlsruhe als Erster zum Zuge kam, kann sich freuen, in seiner Sache wurde zu seinen Gunsten entschieden.

So einheitlich ist unsere Rechtsprechung.


Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich (Artikel 3 Grundgesetz), nicht aber vor dem BGH.

Vielleicht tröstet eine klassische Anekdote: „Ich fordere Gerechtigkeit", rief der Kläger. „Was wollen sie, Gerechtigkeit? Sie können froh sein, wenn sie ein Urteil bekommen!" raunzte der alte Richter zurück.


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© Dr. Thomas M. Hellmann